Hilfe, unsere Kinder streiten!
- Zita Barmettler
- 22. Sept.
- 4 Min. Lesezeit

Die meisten Eltern kennen es nur zu gut: Die Kinder streiten sich. Häufig, laut, manchmal sogar handgreiflich. Oft geht es um die immer gleichen Dinge: Wer bekommt den Mittelplatz im Auto? Wer darf das letzte Stück Kuchen? Oder: „Warum guckt der so blöd?“ Diese Konflikte erscheinen uns aus Erwachsenensicht oft wie Lappalien, doch für die Kinder sind sie alles andere als unbedeutend.
Es ist anstrengend, nervend und raubt viel Energie. Und fast immer taucht die Frage auf: Was soll ich tun? Soll ich eingreifen? Und vor allem: Wann und wie? Es ist nicht immer einfach, die richtige Entscheidung zu treffen.
Geschwisterbeziehungen – Einmalig und oft konfliktbeladen
Ein Blick auf die Beziehung zwischen Geschwistern zeigt: Es ist eine ganz besondere Verbindung. Und gerade darin könnten die Gründe für die häufigen Streitereien liegen. Geschwister sind immer da, durchleben gemeinsam den Alltag und sind in der wichtigen Phase der frühen Kindheit Teil unserer ersten sozialen Gruppe. Hier lernen Kinder soziales Verhalten, teilen Erfahrungen und Erinnerungen.
Doch genauso wie sie uns begleiten, sind sie auch Rivalen. Diese Rivalität ist völlig normal – in einem gesunden Maß. Jedes Kind möchte in seiner Familie seinen eigenen Platz finden, gesehen und wertgeschätzt werden. Es geht dabei nicht nur um Geborgenheit und Liebe, sondern auch um Einfluss, Aufmerksamkeit und Anerkennung. Und so „kämpfen“ Kinder regelmäßig um diese Dinge.
Alltag als ständiger Konfliktgrund
Ein Kinderalltag ist voll von Situationen, die geregelt werden müssen. Und genau hier finden sich immer wieder Anlässe für Streit: Wer bekommt zuerst das Spielzeug? Wer darf was aussuchen? In diesen kleinen Alltagskonflikten geht es um Hierarchien, Grenzen und Gefühlsregulation – Themen, die Kinder über die ganze Kindheit üben und lernen müssen.
Streiten mit dem Geschwister ist zudem ein ziemlich sicheres Unterfangen: Der Bruder bleibt auch nach dem Zuknallen der Tür noch Bruder, und er wird wahrscheinlich wieder zum Mittagessen am Tisch sitzen. Hier kann man sich vielleicht etwas mehr erlauben als bei einem Streit mit einer Freundin oder einem Schulfreund.
Der Einfluss der Eltern
Eltern haben einen enormen Einfluss auf die Geschwisterbeziehungen. Bestimmte Erziehungsstrategien wie Leistungsorientierung, ständige Vergleiche oder ein strenges Belohnungs- und Strafsystem heizen die Rivalität an und können den Streit verstärken. Auch das Verhalten der Eltern im Streit ist entscheidend: Kinder beziehen uns oft aktiv in ihre Konflikte ein. Sie erwarten eine Reaktion – und genau diese Reaktion prägt ihre Fähigkeit, Konflikte selbst zu lösen.
Aber: Wie sollten Eltern reagieren?
Ein zu schnelles und energisches Eingreifen ist selten hilfreich. Wenn wir sofort in die Rolle des „Richters“ schlüpfen und versuchen, den Streit nach dem Täter-Opfer-Schema zu lösen, wird selten eine befriedigende Lösung für alle Seiten erzielt. Vielmehr entsteht ein frustrierter „Verlierer“, und es wird verhindert, dass die Kinder selbst nach Lösungen suchen und lernen, wie sie ihre Konflikte eigenständig lösen können.
Deshalb gilt erst mal die Devise; Wenn die Kinder streiten, halte ich mich raus.
Wann müssen Eltern eingreifen?
Es gibt allerdings auch Momente, in denen ein Eingreifen notwendig ist. Diese sind zum Beispiel:
Wenn die Emotionen sehr hochkochen und ein Kind in akuter Gefahr ist, sich oder anderen ernsthaft zu schaden
Wenn die Kräfteverhältnisse zwischen den Streitenden extrem unterschiedlich sind (z.B. ein sehr kleines Kind gegen einen älteren)
Wenn ein Baby in den Konflikt verwickelt wird
Wenn jemand in seiner Würde verletzt wird oder emotional „fertiggemacht“ wird
Selbstregulation
Um einen Streit gut zu begleiten, braucht es als erstes Selbstregulation. Das bedeutet, dass ich als Elternteil meine eigenen Emotionen beruhigen muss, bevor ich eingreife. Nur so kann ich mit einer klaren, freundlichen und allparteilichen Haltung auf die Kinder zugehen und gemeinsam nach einer Lösung suchen.
Die Förderung gesunder Geschwisterbeziehungen
Eltern können viel tun, um die Beziehungen zwischen ihren Kindern zu stärken. Wenn es ihnen gelingt, jedes Kind in seiner Einzigartigkeit zu sehen und nicht ständig Vergleiche anzustellen, wird die Rivalität in einem gesunden Rahmen bleiben. Statt nur auf Leistung zu setzen, können Eltern ihre Kinder ermutigen und die individuelle Stärke eines jeden Kindes würdigen.
Edelsteinmomente – also kleine, wertvolle, gemeinsame Augenblicke – sowie echte Verbindungsmomente stärken die Bindung und schaffen eine liebevolle Atmosphäre im Familienalltag. Dinge, die im Alltag geregelt werden müssen, können auch im „Familienrat“ gemeinsam besprochen werden, wodurch sich jedes Kind als aktiver Teil des Familienlebens fühlt.
Vorbildfunktion der Eltern
Eltern sind in Konfliktsituationen das wichtigste Vorbild. Viele Eltern sind sich nicht bewusst, dass sie mit ihren eigenen Streitmustern einen direkten Einfluss auf die Art und Weise haben, wie ihre Kinder lernen, mit Konflikten umzugehen. Dabei muss Streit nicht vermieden werden. Vielmehr sollte er ein natürlicher Teil des Zusammenlebens sein. Eltern, die Fairness, Selbstregulation und einen achtsamen Umgang mit eigenen und fremden Grenzen vorleben, ermöglichen ihren Kindern, selbst zu lernen, wie sie respektvoll und konstruktiv mit Konflikten umgehen können.
Fazit
Streitereien unter Geschwistern gehören zum Leben dazu. Sie sind eine Möglichkeit, Beziehungen zu gestalten, Grenzen auszuloten und wichtige soziale Kompetenzen zu entwickeln. Als Eltern können wir unsere Kinder darin unterstützen, indem wir ihnen Raum lassen, selbst Lösungen zu finden, aber auch dann eingreifen, wenn es nötig ist. So fördern wir nicht nur das Miteinander zwischen unseren Kindern, sondern auch ihre Fähigkeit, Konflikte später eigenständig und respektvoll zu lösen.